Die zweite Woche in Petersburg begann mit meinem Umzug in meine neue Wohnung, da in der Eremitage am Vormittag kein Strom war. Die Einführung in das Schlüssel-Schloss-Prinzip nimmt hier auch nicht gerade bekannte Formen an, wie ich bei der Schlüsselübergabe feststellen musste. Mein Wohnungsschlüssel ist ein 15 Zentimeter langer Metallstift, der mit dem gezackten Ende in das Schloss geführt wird. Sodann muss man an dem anderen Ende ziehen, die Tür schliessen und dem Federmechanismus nachgeben. Und schon fällt das Schloss zu. Aufpassen muss man allerdings, dass man sich nicht die Finger einklemmt. Der Haustürschlüssel ist ein im Durchmesser 1 Zentimeter grosser Metallblock, vollgepfropft mit Elektromechanik, der auf die passende Öffnung an der Haustür gehalten wird, um die Tür freizugeben.
Sodann in die Arbeit, und die Computeranlage aufgebaut. Alles funktioniert ganz wunderbar, nur die Vernetzung zweier Computer per Ethernet machte Probleme, die sich nur mit einer Neuinstallation des Systems lösen liessen. Ich war wieder einmal über die Institutsentscheidung froh, ein Macintosh-basiertes Computersystem zu wählen, denn die Probleme, die die Comupter ja immerfort machen, sind somit in Stundenfrist lösbar. Übrigens ist dies Problem immer noch nicht gelöst, aber ich weiss immerhin, wie ich es zumindest temporär lösen kann.
Der nächste Tag begann mit der Digitalisierung der mesopotamischen Tontafeln der UR III-Zeit, meine Aufgabe hier in Petersburg. In der Mittagspause bin ich zu einem Provider hier in Petersburg gegangen, um meine Kommunikationsmöglichkeiten mit der Welt zu verbessern. Und das erste Mal zu MacDonalds, der hier natürlich nicht fehlen darf. Als vor über einem Jahrzehnt der erste MacDonalds in Petersburg geöffnet wurde, bildeten sich schon um 7 Uhr in der Früh lange Schlangen, doch inzwischen hat sich das alles beruhigt. Und was viele wissen, der Fraß schmekct hier genauso wie überall.
Der Besuch im Schnellrestaurant war auch einem anderen Problem geschuldet, welches in dieser Woche dramatisch wachsen sollte: Die Versorgungslage. Zwar kann ich nicht behaupten, dass sie der Zeit der deutschen Besatzung geähnelt hätte, aber es stellte mich vor einige Probleme, nun selbst für mein täglich Brot sorgen zu müssen. Denn einerseits waren offenkundige Sprachschwierigkeiten gegeben, die sich jedoch mit Fingersprache lösen liessen. Ein weiteres Problem war die Suche nach Gewürzen, bis Natascha, meine vormalige Vermieterin, mir den Tip gab, auf dem Newski-Prospekt in das Jellisejew-Haus zu gehen, 1907 im schönsten Jugendstil erbaut, ein Feinkostgeschäft, wo mein Verlangen nach der Würze im Leben ebenso befriedigt wurde wie mein Auge, welches die schöne Jugendstil-Einrichtung bewunderte. Stolz kam ich mit Basilikum, Oregano und Pfeffer, der sich als Zimt erwies, nach Hause, um mein erstes selbst gekochtes Essen zu geniessen.
Wiederum ein Problem stellte die sich häufende dreckige Wäsche dar, also machte ich mich auf die Suche nach einer Wäscherei, die mich drei Tage kosten sollte. Denn die Adresse, die mir gegeben wurde, beherbergte ein Sporstadium, und all meine Fragen nach einer Wäscherei (ich weiss immer noch nicht, wie dieser verflixte Begriff auf russisch heisst) waren ergebnislos.Letztlich stellte sich dann am Samstag heraus, dass mir die Lage der Wäscherei falsch beschrieben worden war, und mit der richtigen Adresse war die Such denn auch von Erfolg gekrönt. Doch war nun klar, dass ich einen Mangel an Unterwäsche und Socken erleiden würde, somit machte ich mich auf den Weg in den Gostinny Dvor, ein etwa 1 Kilometer langer und tiefer Kaufhausbau, das berühmteste Kaufhaus Petersburgs, in dem ich leider kein Gold fand, wie 1965 bei Umbauarbeiten gefunden wurden (immerhin 128 Kilogramm), aber das Gold hätte ich mir nicht über meine Füsse ziehen können und ich war zufrieden, als ich teuer, aber gut, die gewünschte Ware fand.
Das Wochenende nutzte ich noch, um in das Petersburger Nachtleben einzutauchen. Der Freitag-Abend führte mich auf ein Rockabilly-Konzert, welches für meine Ohren zu bieder war, aber der Meute hat es gefallen und es war eine ganz neue Erfahrung, bei Tageslicht tanzende Menschen zu erleben. Des Nachts wirkt der Newski so menschenleer fast ein bisschen unheimlich. Am Samstag Abend konnte ich wählen zwischen Marky Ramone und einer Petersburger Band namens Pikes. Die habe ich gewählt, weil sie in der Zeitung als Garagenband angekündigt waren, und wirklich, sie hielten die Erwartungen, auch wenn es nur Coverversionen mehr oder weniger bekannter lärmiger Melodien der Sechziger waren, die sie zelebrierten. Viel zu spät haben sie begonnen, viel zu früh haben sie aufgehört zu spielen. Aber dieser Ausflug bescherte mir auch endlich eine Sonnenbrille, unerlässliches Utensil in dieser Stadt, in der im Sommer die Sonne so lange scheint.
Ich wurde gefragt, welche Rolle der Wodka in dieser Stadt spielt. Wie überall in Russland eine sehr grosse. Die Lebenserwartung der Russen liegt bei 57,6 Jahren, und zu den Todesumständen gehört meist der Alkohol. Die Leute hier werden gar nicht so alt, dass sie Krebs kriegen könnten. Im betrunkenen Zustand rennen sie ins Autos, werfen sich von Häusern und manchmal kommt es auch zu Leberschäden. Ich habe inzwischen auch schon eine Flasche Wodka geleert, aber er schmeckt mir nicht so besonders, und da ich momentan Fliessbandarbeiter bin, gehört das Feierabendbier zum Tagesrythmus. Beim Bier gibt es allerdings ganz schöne Unterschiede, denn der Alkoholgehalt variiert je nach Sorte zwischen 4,5 und 10%. Als ich am Anfang als Idiot, der ich bin (ich nenne inzwischen alle Touristen Idioten), diese Unterschiede noch nicht bemerkt hatte, viel mir am jeweils nächsten Morgen das Arbeiten nicht leicht. Doch inziwschen bin ich weiser geworden.
Schlafstörungen stellen sich inzwischen bei mir ein, denn wenn ich um 12 Uhr nachts ins Bett gehe, ist es draussen noch hell, und um 3:3o wird es schon wieder hell. Die weissen Nächte kündigen sich an und beginnen am 11.6..