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Zur Erfüllung eines Auftrags des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte werde ich einige Zeit in St. Petersburg leben. Falls die moderne Telekommunikation auch dort funktionieren sollte, werde ich auf diesen Seiten ein Tagebuch anlegen, um Eindrücke dieser Stadt wiederzugeben.


Von Berlin fliegt die Air Pulkova alle zwei Tage nach Petersburg. Die Air Pulkova ist ein Ableger der Aeroflot, welche nur St. Petersburg mit dem Rest der Welt verbindet. Von Berlin aus fliegen kleine Tupolev-Maschinen, welche einen eigentümlichen Geruch verbreiten und schon bei der Abfertigung merkt man, dass der Osten naht, wird man doch nicht zum Flugzeug gefahren, sondern geht auf Schusters Rappen sorthin. Die Sitzplätze bestehen aus Klappstühlen, was insofern angenehm ist, dass man den Freiraum vergrößern kann, wenn niemand vor einem sitzt.Die Sicherheitsanweisungen werden wohl in russischer Sprache abgehalten, was ich aber nicht mit Sicherheit sagen kann, da ich direkt neben den Triebwerken saß und somit nicht ein Wort von dem verstand, was aus den Luutsprechern tönte. Da auch diese Fluglinie über eine Hauszeitschrift verfügt, war die Stewardess besonders darauf bedacht, uns zu zeigen, wie die Zeitschrift gelesen werden soll und blätterte ein paar Minuten in ihr herum. Der Flug war ruhig und führte uns zu meinem Missmut nicht über das Wasser nach Petersburg, sondern über Land. Es war eine zeitlose Phase für mich, waren meine Chronometer entweder nicht geeicht oder nicht verfügbar (Das Wagnis, das Handy (frei nach dem schwäbischen: Händie koi Schnur net?) anzumachen, um auf dem Display zu sehen, wie spät es ist, wollte ich nun auch nicht eingehen, scshließlich habe ich vor, noch längere Zeit auf dieser Erde zu verbringen.) Doch die Ankunftszeit war klar, nämlich 14:25. Das Wetter hat sich gebessert und ich musste nicht frieren, als ich das Flugzeug verließ.

In Petersburg angelangt, wurde ich von Natascha abgeholt, die schon hinter der Zollschranke stand. Glücklicherweise stand sie da, denn mein erster Fehler war, keine Zollerklärung ausgefüllt zu haben, die aber notwendig für die Einreise ist. Diese Zollerklärungen sind in allen Sprachen erhältlich und liegen dort auf Tischen rum, zumindest sollten sie dort liegen, denn als ich dann nach ihnen fahnden ging, lagen dort nur russische Exemplare herum. So musste Natascha mir gleich helfen, diese mehr oder weniger auszufüllen. Durch dieses entstandene Chaos, welches etwa zehn Minuten dauerte, kam ich in die glückliche LAge, nicht nach den tiefern Inhalt meines Gepäcks gefragt zu werden und bekam keine Probleme mit der Computer-Anlage, die ich dabei hatte. Das wird zwar noch eine Schwierigkeit werden, aber erst dann, wenn die Speditionskisten hier am Donnerstag, den 11.5. ankommen. Ob dann wohl auch Bakschisch fällig werden wird?

Vor dem Flugplatz stehen Taxen, welche die ankommenden Touristen gerne in die Stadt fahren. Die Fahrt mit diesen Taxen kostet dann etwa 100 $, aber da Natascha schon ein Taxi bei der Zentrale bestellt hatte, mussten wir nur 170 Rubel zahlen, etwa 13 D-Mark. Der weitere Tag war gefüllt mit der Besichtigung meiner Unterkunft für den ersten Monat, bei einer Bekannten von Natascha, die auch Natascha heisst, mit dem Geniessen der russischen Gastfreundschaft (Tee und viel Süsses), mit der Besichtigung der Eremitage, der Newa und ersten Eindrücken der Stadt. Wird viel von den kommunistischen asaiatischen Weiten gesprochen, wenn z.B. über den Alexanderplatz gelästert wird, so bewahrheitet sich dieser Satz für Petersburg, aber nur zum Teil. Das Passieren eines Häuserblocks dauert hier etwa fünf Mal so lang wie in Berlin, nur wurde Petersburg nicht von den Kommunisten gegründet, sondern von Peter dem Großen. Nach einem kleinen Dienstgespräch mit Natascha im Literatencafe und dem ersten Genuss des roten Kaviars und einem Petersburger Bier schlenderte ich den Newski Prospekt nach Hause, in die Tschaikowskaja. Den weiteren Abend verbrachte ich dann mit dem LEsen von Bedienungsanleitungen und dem Betrachten des Sonnenuntergangs an der Newa, welcher so gegen 22:30 stattfand. Die weißen Nächte kündigen sich schon an...


Der 9. Mai ist in Russland ein Freuden- und Feiertag, an welchem dem Sieg über den Nationalsozialismus gedacht wird. Seit Kurzem wird an diesem Tag auch eine Militärparade auf dem Palastplatz abgehalten, wohl auch, um den Krieg in Tschetschenien zu rechtfertigen. Ich begab mich also in der Früh auf den Weg zum Palastplatz, um eben diese Parade zu sehen.

EremitageWandplakat Der Platz war festlich geschmückt. Auf der linken Seite sieht man die Eremitage, das Gebäude im Hintergrund ist von einem Wandplakat zur Feier des Tages geschmückt. Es sind nicht allzuviele Menschen auf dem Platz zu sehen, denn die Paraden sind gerade zu Ende gegangen und der Platz ist nun für das Volk freigegeben.Vor der Eremitage ist eine Tribüne aufgebaut, auf der hohe Miltärs und Würdenträger die Festansprachen abhielten. Im Verlauf des Tages sollte sich dieser Platz mit Menschenmassen füllen, denn als ich am Abend nach einem Abendessen mit Natascha ihn passierte, gab es kaum ein Durchkommen. Betrunkene, vor allem junge Leute feierten in den Abend hinein. Ich kam dort aus Neugierde noch einmal hin, da ich das Feuerwerk betrachten wollte. Links an der Eremitage vorbei, an der Neva entlang ging ich wieder in Richtung Tschaikovskaya, wo ich noch wohne. An diesem Tag mieteten Natascha und ich eine Wohnung für mich in 5 Minuten Entfernung zur Eremitage an, in der ich ab 15. des Monats leben werde.Sie ist in der Millionaya gelegen, für westliche Ansprüche nicht sonderlich hübsch, aber mir wird sie genügen, denn sie hat das momentan Wichtigste für mich, nämlich ein Telefon, so dass ab Montag oder Dienstag auch diese Seiten endlich veröffentlicht werden können.

Wenn ich auch die Paraden an sich nicht richtig sehen konnte, so wurde mir doch später noch einmal ein Beispiel gegeben, welches mir auch zu fotografieren gelang. Die Stadt ist nach westlichen Sichtweisen voll von Militär, mir ist noch nicht klar, welche Uniformen was bedeuten, doch der tiefere Sinn des Militärs will mir ja auch gar nicht einleuchten. Auf der Peter und Paul-Festung wurde zur Freude des Tages auch ein Ballon gestiegen gelassen, der in seiner Form sehr an eine Atombombe erinnerte.

Mit dem Wetter hatte ich allerdings Glück, denn es hatte etwa 17 Grad, etwas beschämend für Berliner Verhältnisse, da in jener Stadt der Sommer mit 30 Grad ausgebrochen ist, aber man lernt sehr schnell, genügsam zu sein.

Tor

Die Newa beherrscht die Stadt. Links vom Bild und hier nicht zu sehen ist die Eremitage, und ich biefinde mich gerade auf dem Wege zur Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, um dort Geld für einen Computer abzuliefern. Es ist eine grosse Brücke, und ich habe den Fehler gemacht, auf der falschen Brückenseite die Newa zu überqueren, so dass ich auf der anderen Seite die Strass nicht überqueren konnte und mich im Universitätsgelände heillos verlaufen habe. Nur eins weiss ich nun: Ich möchte hier nicht Geschichte studieren, denn das Gebäude, in welchem die historische Fakultät sich befindet, ist furchteinflössend. Ewig lange dunkle Gänge, von welchen schiefe Türen in Räume führen, von denen mir nicht bekannt war, was sich dort dahinter wohl verbergen mag. Ich habe fünf Minuten gebraucht, um die Treppe und somit den Ausgang zu finden. Doch irgendwann war ich wieder an der frischen Luft, und konnte mich nun meinem Ziel nähern. Das von mir gesuchte Institut befindet sich direkt gegenüber der Kunstkamera, mein Objekt der Begierde, möchte ich doch dort die anatomische Sammlung von Frederic Ruysch genauer unter die Lupe nehmen.Ein kurzer Blick in diese Museum zeigte mir schon, dass es mir dort gefallen wird, wird der Besucher doch von einem riesigen, etwa 3 Meter großen Yeti begrüßt. An diesem Tag erhielt ich meinen Mitarbeiter-Ausweis für die Eremitage, und da unsere Gerätschaften noch nicht in Petersburg angekommen waren, blieb mir nichts anderes, als die Newa entlang nach Hause zu laufen. An einer Flussmündung liegt dort der Kreuzer Aurora, ein Denkmal der Revolution, wurde von ihm doch der Kanonenschuss abgefeuert, der die Revolution einleitete. Daheim angekommen, musste ich meine Füße pflegen, denn ich hatte mir dicke Blasen während des Tages zugelegt.



Der elfte Mai versprach, spannend zu werden.Endlich sollten die Kisten aus Berlin eintreffen. So machten sich Natascha und ich an diesem verregneten Tag nach Pulkova auf, der Flughafen von Petersburg, ausserhalb der Stadt im Belagerungsgürtel der Nazis gelegen. Doch vorher musste ich noch die bürokratischen Hürden der polizeilichen Anmeldung nehmen, welche aber recht problemlos von der Verwaltung der Eremitage vorbereitet worden war. Nach einer Stunde Fahrtzeit mit Metro und Bus kamen wir am Flughafen an. Der erste Arbeitspunkt war die Ausbesserung eines Fehlers, den wir bei meiner Ankunft begannen hatten: Jeder Ankömmling muss eine Zollerklärung abgeben, in welcher steht, wieviel Geld und welche elektronischen Apparaturen er dabei hat. Da ich diese zuerst nicht ausgefüllt hatte, gab es sowieso ein kleines Chaos bei meiner Ankunft. Als Spitze des Berges wurde mir die Zollerklärung nicht ausgehändigt. Dies war ein Fehler. So mussten wir die Zollerklärung noch einmal ausfüllen, aber in zweifacher Ausfertigung, erwartete ich doch auch noch die Kisten. Mit dieser zweiten Zollerklärung für den Computer gingen wir dann zu den Baracken, in welchen die Bürokratie für Import und Export regierte. Im Nachhinein handelte es sich bei unserer weiteren Aufgabe um das Ergattern von Zetteln und Stempeln, eine Aufgabe, welche uns auch den folgenden beschäftigen sollte. Doch das wussten wir noch nicht. Bis zum Abend hatten wir - besser gesagt Natascha, denn meine Aufgabe beschränkte sich darauf, meinen Pass vorzuzeigen und hier und dort meine Unterschrift auf ein Formular zu geben - einige Hürden genommen, ich hatte zu meiner Beruhigung sogar die Kisten schon erblickt, wie sie dort im Lager ankamen. Wenigstens!!! Jetzt konnten sie nur noch dort geklaut werden und damit wäre zumindest schon jemand für den Verlust verantwortlich. Dennoch, es gelang uns nicht, in den vollständigen Besitz der etwa 30 Dokumente zu gelangen, die für die Herausgabe der Kisten erforderlich waren. So fuhren wir unverrichteter Dinge am Abend zurück...


So langsam verstehe ich, wieso man diesen Flughafen hassen kann. Schon wieder dort, das dritte Mal in dieser Woche und hoffentlich das letzte Mal. Der Tag ist kalt, es schneit und ich habe schon gehört, in Berlin hält die Hitzeperiode an. Die russische Melancholie hat mich auch schon in sich aufgenommen und ich finde, mit dieser Umgebung kann ich ehrlicher traurig sein. Da alle Menschen eher melancholisch sind, fühle ich mich geborgen in dieser unendlich dunklen Untiefe der Seele. Doch weiter zu den Barracken. Hoffnungsvoll, wie Natascha und ich sind, fahren wir diesmal gleich mit dem Bus der Eremitage zum Flughafen. So sparen wir ein bisschen Zeit. Auf der Fahrt dorthin kommen wir am letzten Lenin vorbei, der noch in Peterburg steht.Diesmal fallen mir auch die Bunkeranlagen gen Pulkova auf, die noch am Stadtrand stehen.Unser Zeitplan sieht vor, bis 16 Uhr die Kisten zu haben. Aber was sind schon Pläne im Verhältnis zu dem, was wirklich passieren kann. Ich habe schnell gelernt, keine Pläne zu machen, sondern mich mit Widerstand den Gegebenheiten anzupassen, um doch noch eine Möglichkeit zu haben, die Verhältnisse zu ändern. Um es kurz zu machen, nach unzähligen weiteren Stempeleien und Rennereien bekamen wir die Kisten, etwa eine Woche schneller, als uns von allen Seiten mitgeteilt worden war. Zwar mussten wir noch etwa 50 $ an die dortige Speditionsfirma zahlen, doch wir waren glücklich, ganz offiziell und regulär zu den Kisten gekommen zu sein. Die erste Hürde war genommen und endlich konnte ich die Kisten gegen 18 Uhr in der Eremitage auspacken und die Computer aufbauen. Natürlich nicht, um am Montag in der Früh gleich mit der Arbeit zu beginnen, denn am Vormittag wird es keinen Strom in der Eremitage geben. Nun, ich werde diese Zeit nutzen, um meinen Umzug vorzubereiten.

© Foto und Text: Markus Schnöpf, Stand: May 25, 2000