Die Kunstkammer Peters des Großen |
Geschichte der Sammlung |
In der Kunstkammer sind verschiedene Sammlungen unter einem Dach vereint. Die Entstehung dieser Sammlungen geht auf Peter I. zurück. Die uns interessierende anatomische Sammlung ist eng mit den Beziehungen Peters zu Holland verbunden. Im Jahre 1697 besuchte Peter zum ersten Mal dieses Land. Frederik Ruysch (1638-1731) hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine erhebliche Kollektion anatomischer Präparate angelegt. Er zählt auch heute noch zu den Meistern der anatomischen Präparierkunst. In Leiden studierte er nach absolvierter Apothekersausbildung in dem anatomischen Laboratorium Johannes van Hornes diese Kunst. Von dessen Freund Jan Swammerdam inspiriert experimentierte er mit der Injektion verschiedener Flüssigkeiten in die Blutgefässe. Schnell erlangte Ruysch einen Namen mit seiner Methode, da seine Präparate sehr detailgenau waren. Doch nicht nur menschliche Präparate waren für Ruysch interessant: Mit "kleinen Helfern", wie er die Raupen nannte, legte er die Feinstruktur von Blättern frei. Seine Ergebnisse bewahrte Ruysch in seinem Hause auf. Die Nasspräparate waren in eine Alkohollösung (75-80%), der Extrakt des schwarzen Pfeffers hinzugegeben wurde, eingelegt. Nicht nur im Bereich der allgemeinen und pathologischen Anatomie vollbrachte Ruysch Sensationelles, auch das Einbalsamieren von Kinderkörpern beherrschte er in Perfektion. Ruyschs Kabinett galt unter den Zeitgenossen als achtes Weltwunder. Zweimal in der Woche öffnete Ruysch sein Haus dem Publikum, welches gegen ein Entgelt die Präparate besichtigen konnte. Und nicht nur das gemeine Volk kam, um zu sehen, sondern auch Diplomaten und Berühmtheiten. Auf Blatt 30 des Besucherbuches findet sich die Eintragung von Peter dem Großen. Peter war stark beeindruckt von der Kollektion, eines der mumifizierten Kinder küsste er, weil er dachte, es sei lebendig. Es war nicht der einzige Besuch Peters bei Ruysch, denn öfters kam Peter zu ihm, um die Sammlung zu betrachten und anatomische Stunden bei Ruysch zu nehmen. Ruysch hatte bereits bei diesem Besuch mit dem Verkauf der Sammlung gerechnet. Als diese Transaktion scheiterte, begann er mit der Umgestaltung der Sammlung. "Das Erste Anatomische Kabinett" umfasste fast ausschließlich Trockenpräparate, darunter vor allem menschliche Skelette von Föten und Neugeborenen. (Die große Zahl stand Ruysch nicht zuletzt deshalb zur Verfügung, weil in Amsterdam schon im 18. Jahrhundert Abtreibungen ohne große Schwierigkeiten möglich waren). Die Aufstellung im ersten anatomischen Kabinett war weniger systematisch als moralisch-ästhetisch, geleitet vom Vanitas-Gedanken, nach dem Vorbild des anatomischen Theaters in Leiden. Ab 1700 legte Ruysch seine Sammlung in zehn Thesauri an und veröffentlichte zehn Kataloge, die als "Führer" durch sein Naturalienkabinett verwendet werden konnten. In Leiden traf Peter der Große auch mit Leeuwenhoek zusammen, von dem er ein Mikroskop erstand, welches sich noch in der Kunstkammer befindet. Es war die Neugierde Peters, die ihn alles selbst sehen lassen wollte, selbst ausprobieren lassen wollte, selbst erfahren lassen wollte. 1718 gelangte dann Peter schliesslich nach zähen Verhandlungen seines Beauftragten Robert Areskin in den Besitz der Sammlung, für die stolze Summe von 30.000 Gulden. Eigentlich wollte Peter auch das Geheimnis Ruyschs erstehen, wie er die Präparate angefertigt hatte, doch Ruysch verlangte dafür 50.000 Gulden, seinen Unwillen damit ausdrückend. Mehr als zwei Dutzend embryologische und anatomische Präparate, Säugetiere, Reptilien und Insekten, Vögel - trocken konserviert -, zwei Kästen mit Herbaria - fast alles aus dem ersten Thesauri von Ruysch wurde nach Petersburg verkauft. Nach dem Verkauf der Sammlung stellte Ruysch weiterhin Präparate her, in der Hoffnung, dass Peter ihm auch diese Sammlung abkaufen möge. Der frühe Tod Peters verhinderte dies allerdings. 1724 veröffentlichte er die neue Sammlung in einem weiteren Thesauri. Ruysch stirbt schließlich 1731, seine Präparate blieben nicht geschlossen erhalten. Eine seiner Sammlungen wurde nach seinem Tod versteigert und vom polnischen König Stanislaw erworben, der sie als königliches Geschenk der Universität Wittenberg, seit 1815 mit der Universtität Halle vereinigt, übergab. Ob sich dort noch Reste der Sammlung finden lassen, ist allerdings bis heute ungeklärt. Was blieb von der Ruysch'schen Sammlung in Petersburg erhalten? Bis 1747 alles. Dann brach ein Feuer in Kunstkammer aus, unter welchem ein Großteil der Präparate Schaden erlitt. Der zoologische Teil der Ruysch'schen Sammlung wurde zerstört. Die Kunstkammer, die ja mehr als nur die Ruysch'sche Sammlung beherbergte, wurde bald umorgarnisiert: Die anatomischen und teratologischen Sammlungen wurden Teil des Zoologischen Museums, genannt das Anatomische Kabinett. Auf Karl E. von Baer, Leiter der Russischen Akademie der Wissenschaften in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Plan und die Realisierung eines anthropologischen Museums zurückzuführen. Er bemühte sich auch um eine Katalogisierung der vorhandenen Präparate, und obwohl dies Projekt nie zum Abschluss geführt wurde, belief sich die Inventarliste der Ruysch'schen Objekte auf 1350 Präparate. Von Baer kam zu dem Schluss, dass die anatomisch-poetischen Kompositionen Ruyschs nicht aus den Niederlanden überführt worden waren. V. V. Ginzburg, Professor der Anatomie, untersuchte 1947 die Sammlung Ruysch. Auch er stellte eine Inventarliste zusammen, welche 935 Nummern umfasste, ausgenommen die fehlgebildeten Tiere. Im Laufe der zweihundertjährigen Geschichte sind also mehr als die Hälfte der Präparate Ruyschs verlorengegangen. Die Zeit ist an der Ruysch'schen Sammlung nicht unbemerkt vorbeigegangen. Wie die Sammlung früher ausgesehen hat, ist trotz des guten Zustands der Präparate nur zu erahnen. Der Eindruck, den die einbalsamierten Körper Ruyschs auf die Zeitgenossen machten, ist Vergangenheit. Die Mumien Ruyschs, die Peter den Grossen noch zum Küssen anregten, sind heute braungefärbt. |
© 2000 Markus Schnöpf