Die dritte und vierte Woche in Petersburg

In der letzten Zeit bin ich schweigsamer geworden. Sicher liegt das auch an meinem täglichen Leben, denn viel sprechen tu ich hier nicht. Nein, als Stummer zu leben ist nicht leicht, und ich verstehe nun mehr von dem wirklichen Defekt des Stummseins, den ich hier ja nur temporär habe. Der Sprachlose lebt in einer Blase, die ihn in Distanz zu seiner Umwelt leben lässt. Auch wenn die Mitmenschen nur Meter von ihm entfernt sich aufhalten, so sind sie doch meilenweit entfernt. Ihr Lachen und Scherzen wird gehört, doch immer mit dem Hintergedanken der Nichtmöglichkeit für sich selbst. Am schlimmsten sind die Wochenenden, an denen die Stille noch zunimmt. Obwohl sich Petersburg alle Mühe gibt, dieses Wochenenden mit Feiern zu versüssen. Und da unter der Woche nur Raum für die Arbeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten ist, sind die Wochenenden die einzigen Zeiten, an denen ich durch die Stadt wandern kann.

Am vorherigen Wochenende feierte Petersburg Geburtstag. Das offizielle Festprogramm sah dergestalt aus, dass am Reiterdenkmal Peters Blumen niedergelegt wurden, ein Militärorchester stramme Märsche spielte und ein paar Reden geschwungen wurden.

Die Beteiligung der Bevölkerung war rudimentär hinter Absperrungen gegeben. Doch es bot sich die Gelegenheit, nach Ende des Programms den neuen und alten Bürgermeister Petersburg, Yakovlev, aus nächster Nähe zu fotografieren.

Er ist zwar mit hoher Mehrheit wiedergewählt worden, zählt eher zu den Kommunisten denn zu den Konservativen, aber ernst darf man diese westeuropäische Unterscheidung in politische Lager hier nicht nehmen.Denn konservativ sind ja eher die Kommunisten, die eine starke Nation wollen und oftmals nationalistischere Töne denn die Wirtschaftliberalen anschlagen. Diese zweite Gruppe gehört eher zu den Gewinnern des Zusammenbruchs des Systems vor ein paar Jahren und der vom IWF verordneten Privatisierung der Wirtschaft, bei der sich vor allem eine Gruppe in Moskau profilierte und die heute als Familie im Kreml bezeichnet wird, die heimlichen Machthaber hinter Putin.Nichtsdestotrotz, Yakovlev hat die Wahlen gewonnen und zwei Tage später wurde das normale Fernsehprogramm für eine Durchsage von Putin unterbrochen. Er führte neue regionale Statthalter in das politische System ein, um die regionalen Vollmachten, wie sie Yelzin zugestanden hatte, wieder einzuschränken und zurückzunehmen. Für die Region Nord-West, in der wir uns hier befinden, kam ein - wie sollte es für Putin anders sein - Geheimdienstler, der sich in den letzten Jahren vor allem bei der hartnäckigen Verfolgung von ökologischen Kritikern hervorgetan hat, sich aber nicht durch ein grossartiges Demokratieverständnis westlicher Lesart auszeichnet. Ein schöner Coup zu Stärkung der Zentralgewalt. Doch bei den Feiern zum 297. Geburtstag spielte das keine Rolle. Aber das Militär spielte wieder eine Rolle, denn die Russen feiern vor allem mit zwei Dingen: Militär und Alkohol.

Und so schlängelte sich am Mittag ein riesiger Militärorchersterumzug den Nevski-Prospekt entlang (nicht auf dem Bild zu sehen). Und am Abend, als ich von einem finnischen Kulturfestival im Spartak zurückkam, sah man die üblichen Betrunkenen auf dem Palastplatz und die Strassenreiniger. Beide Sorten der Strassenreiniger: Die armen Leute, die Flaschen und Dosen einsammeln und diese dann wieder verkaufen und die von der Stadt bezahlten.

Und am nächsten Wochenende, also am 3.6.2000, gab es dann auf dem Palastplatz die nächste Veranstaltung. Diesmal ein Bierfest, denn ehrlich wird hier schon gefeiert. Kein Vergleich zum Oktoberfest, was die Ausschmückung anbelangt, aber ansonsten war der Unterschied rudimentär, ist doch der Zweck beider Festveranstaltungen derselbe: Biertrinken. Aber während in München ein anderes Mass vregiert, wird hier das Bier in Plastikbechern getrunken, das ökologische Bewusstsein wird ja von der Regierung nicht mit Wohlwollen bedacht, wurde doch erst vor zwei Wochen das zuständige Ministerium aufgelöst.

Das Wetter wird langsam besser, auch wenn es doch noch oft sehr kalt ist (18 Grad), aber die Sonne scheint recht häufig und wärmt, auch wenn die Luft noch so kühl ist. sonnenaufgang um 3:30, Sonnenuntergang um 12:30.

Noch ein Bild von der Admiralität mit dem kleinen Schiff auf der Turmspitze:

 

© Foto und Text: Markus Schnöpf, Stand: 06/04/2000